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Impulse aus dem
Baum­haus

7. Mai 2022, Zürich

Freundschaft

26. Juni 2024
C. Bernd Sucher

Mit C. Bernd Sucher verbinden uns viele wundersame Geschichten – vor allem verbindet uns eine wundervolle Freundschaft. "Was wünscht du dir für den #AGD23", fragte Bernd. "Ich wünsche mir, dass am Ende des Tages, über allem, die Freundschaft steht", sagte ich: "Die Freundschaft und wie sie sich verändern darf im Lauf eines Lebens." Das ist sein Schlussstein am 1. September 2023.

Meine sehr verehrten Damen und Herren,

Clemens Prokop wünschte sich von mir einen kleinen Vortrag über Freundschaft. 
Das erste, was mir dazu einfiel, war Friedrichs Schillers Werk „Die Freundschaft“, 1782 erschienen und versehen mit dem Untertitel: „Aus den Briefen Julius’ an Raphael; einem noch ungedruckten Roman“.
Das Gedicht wurde publiziert in Schillers „Anthologie auf das Jahr 1782; und diese Veröffentlichung entstand in bewusster Konkurrenz zu einer anderen Publikation, dem „Schwäbischen Musenalmanach auf das Jahr 1782“, den Gotthold Friedrich Stäudlin im September 1781 publiziert hatte. 
Das Gedicht ist enthusiastisch, pathetisch und freundschaftstrunken – und es ist lang. Deshalb nur die jubelndsten der vielen Jubelverse. 
War’s nicht dies allmächtige Getriebe,
Das zum ew’gen Jubelbund der Liebe
U n s r e Herzen aneinander zwang?
Raphael, an  D e i n e m  Arm – o Wonne!
Wag auch ich zur großen Geistersonne
Freudigmutig den Vollendungsgesang

Glücklich! Glücklich!  D i c h  hab ich gefunden,
Hab aus Millionen D i c h umwunden,
Und aus Millionen  m e i n  bist  D u – 
Laß das Chaos diese Welt umrütteln,
Durcheinander die Atome schütteln; 
Ewig fliehn sich unsre Herzen zu.

Tote Grippen sind wir – wenn wir hassen,
Götter – wenn wir liebend uns umfassen!
Lechzen nach dem süßen Fesselzwang – 
Aufwärts durch die tausendfachen Stufen
Zahlenloser Geister die nicht schufen
Waltet göttlich dieser Drang.

Sie werden es bemerkt haben, das Adjektiv „freudigmutig“. Dieses Wort kann man auch dem Menschen Friedrich Schiller beigesellen. 
Christian Gottfried Körner, an den sich diese Verse sich vor allen anderen wenden, war kein Jugendfreund des Dichters, sondern ein Retter in der Not. Er unterstützte Schiller finanziell. In diesem Briefwechsel ist Schiller Julius und Körner Raphael. 
Damit Sie einen Eindruck davon bekommen, wie sich die beiden Männer schätzen, ja anhimmelten, hier der zweite Brief von Julius an Raphael: 
„Du bist fort, Raphael – und die schöne Natur geht unter, die Blätter fallen gelb von den Bäumen, ein trüber Herbstnebel liegt wie ein Bahrtuch über dem ausgestorbenen Gefilde. Einsam durchirre ich die melancholische Gegend, rufe laut deinen Namen aus, und zürne, dass mein Raphael mir nicht antwortet. Ich hatte deine letzten Umarmungen überstanden. Das traurige Rauschen des Wagens, der dich von hinnen führte, war endlich in meinem Ohre verstummt. 
Ich Glücklicher hatte schon einen wohltätigen Hügel von Erde über den Freuden der Vergangenheit aufgehäuft, und jetzt stehest du gleich deinem abgeschiedenen Geiste von neuem in diesen Gegenden auf, und meldest dich mir auf jedem Lieblingsplatz unserer Spaziergänge wieder. Diesen Felsen habe ich an deiner Seite erstiegen, an deiner Seite diese unermeßliche Perspektive durchwandert. Im schwarzen Heiligtum dieser Buchen, ersannen wir zuerst das kühne Ideal unsrer Freundschaft. Hier war's, wo wir den Stammbaum der Geister zum erstenmal auseinanderrollten, und Julius einen so nahen Verwandten in Raphael fand. Hier ist keine Quelle, kein Gebüsche, kein Hügel, wo nicht irgendeine Erinnerung entflohener Seligkeit auf meine Ruhe zielte. Alles, alles hat sich gegen meine Genesung verschworen. Wohin ich nur trete, wiederhole ich den bangen Auftritt unsrer Trennung.
Was hast du aus mir gemacht, Raphael? Was ist seit kurzem aus mir geworden! Gefährlicher großer Mensch! daß ich dich niemals gekannt hätte, oder niemals verloren! Eile zurück, auf den Flügeln der Liebe komm wieder, oder deine zarte Pflanzung ist dahin. Konntest du mit deiner sanften Seele es wagen, dein angefangenes Werk zu verlassen, noch so ferne von seiner Vollendung? Die Grundpfeiler deiner stolzen Weisheit waren in meinem Gehirne und Herzen, alle die prächtigen Paläste, die du bautest, stürzen ein, und der erdrückte Wurm wälzt sich wimmernd unter den Ruinen.“
Es ist ziemlich sicher – soweit so etwas je sicher sein kann – , dass Körner und Schiller kein schwules Paar waren. Beide waren verheiratet, beide hatten Kinder. 
Wenn die beiden von Liebe in der Freundschaft sprechen, dann ist nie eine sexuelle Leidenschaft gemeint, nicht einmal eine erotische. Sie himmeln einander an, weil sie dieselben Ideale teilen, weil sie einander verstehen. Besser miteinander verstehen als mit ihren Frauen. Aber zweifellos ist diese Freundschaft eine die auf einer tiefen Zuneigung basiert. Und nicht auf Berechnung. Das Geben-Nehmen-Prinzip ist ausgehebelt – es sollte übrigens auch im Glauben ausgehebelt sein, denke ich. Halte ich alle Gebote ein, dann muss mich Gott doch lieben. Oder? Muss er nicht.
Freundschaft ist ein Geschenk – das ist richtig. Aber sie ist ein Geschenk, das sehr zerbrechlich ist und eines das der Beschenkte ebenso wie der Schenker pflegen muss. Nicht putzen wie man Silber putzt, sondern man muss Freundschaft Tag für Tag neu beleben. Freundschaft ist ein Geschenk, das Arbeit macht.
Ein Geschenk, das vieles aushält, nur nicht müßige Selbstverständlichkeit und Lüge. Raphael weiß auch dies: „Es gibt nichts Heiliges als die Wahrheit.“ 
Und sie findet der Mensch, wenn er dem harmonischen Takt seines Sensoriums vertraut. Dann winkt Glückseligkeit als Lohn.
Wir wissen, dass Freundschaften zu Bruch gehen können und zu Bruch gehen. 
Wir wissen, dass Freunde und Freundinnen einander zuweilen fremd werden und sich, meist ohne Abschiedsworte, davonschleichen. Nun kann derjenige, der verlassen wird, denken und handeln nach dem Spruch: Reisende soll man nicht aufhalten. Oder er oder sie kann kämpfen. Ich empfehle alle Versuche, Menschen zu halten, die man nicht verlieren möchte. Der Weg zerbrochene Freundschaften zu kitten ist einer, der Mut erfordert und Wahrhaftigkeit.
Clemens und ich, wir wissen dies. Und wahrscheinlich bat er mich deshalb um diesen kleinen Freundschaftsvortrag. Wir haben einander nie verloren, das müssen, das dürfen Sie mir glauben, aber wir hatten uns zuweilen voneinander entfernt. Und irgendwann – glücklicherweise nicht zu spät – bemerkten wir, unabhängig voneinander, dass uns etwas fehlte: Die innige Freundschaft zwischen uns.
Ich mag Matthias Claudius, zum einen, weil er Hamburger, zum anderen, weil er ein sehr eigensinniger Journalist war und zum dritten, weil er ein kluger philosophischer Kopf war. Auch er hat sich Gedanken zur Freundschaft gemacht. Mit einem dieser Gedanken möchte ich schließen: „Einerlei Gefühl, einerlei Wunsch, einerlei Hoffnung einigt; und je inniger und edler dies Gefühl, dieser Wunsch und diese Hoffnung sind, desto inniger und edler ist auch die Freundschaft, die daraus wird.“

C. Bernd Sucher

C. Bernd Sucher

geboren in Bitterfeld

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