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Impulse aus dem
Baum­haus

Herz Trumpf

25. April 2024
Clemens M Prokop
Neulich steckte mal wieder eine Visitenkarte im Fahrerfenster: „Kaufe jedes Auto!“, und weil ich als gut erzogener Mülltrenner den Karton nicht einfach fallenlasse, sondern erstmal in die Hosentasche stecke, nur um ihn dann nach dem nächsten Schleudergang zerbröselt aus der Waschmaschine zu zauseln, habe ich ein traditionell angespanntes Verhältnis zu Menschen, die mir unverlangt Druckschriften zustecken.
Und dann passiert’s doch, und ich werde neugierig.
 
Ich muss etwas müde in der S-Bahn gestanden haben, denn ich erinnere mich nur, dass ich für das Spiel „Finde den Unterschied“ viel zu lange gebraucht habe. Man spürt, dass irgend etwas anders ist, aber was nur? Bis mir die zwei kleinen bunten Karten bewusst wurden, die jemand über den Monitor mit den Anschlussverbindungen geklemmt hatte. Wieder Visitenkarten eines Autohändlers? Wäre in der S-Bahn ja nicht ohne Witz.
Ich kann gar nicht sagen, warum ich doch näher hinsah – ich hatte weder Interesse an einem Restaurant noch Bedarf für eine Kontaktbar.
 
„Gutschein für: Eine herzliche Umarmung“ stand auf der einen Karte, liebevoll gezeichnet. „Ein Lächeln, und deine Welt verändert sich“, stand auf der anderen, und aus unerfindlichen Gründen flatterten da bunte Kolibris.
 
Ich musste unwillkürlich lächeln. Und ertappte mich beim erstem Gedanken, wer mir da mit positivem Denken wohl was verkaufen möchte. Sekte? Coaching? Ist ja logisch: Kein vernünftiger Mensch macht sowas, ausser es ist Marketing.
 
Und da stand es auch, so klitzeklein, dass ich später zur Brille die Lupe brauchte:
„Dies ist eine private Aktion einer verrückten Gruppe. Einzig und allein um Glück zu verbreiten. Hier geht es nicht um Werbung, Religion, Politik etc. Die einzige Person, die etwas an diesem Kärtchen verdient, bist Du.“
Crazy, dachte ich, und mein Misstrauen war noch nicht verflogen. Aber ich musste unwillkürlich an unseren Anti Gravity Day denken. Wir kennen dieses Misstrauen, das meistens gar nicht bös gemeint ist, doch aus eigener Erfahrung. „Warum macht ihr das, wenn ihr nichts dran verdient?“ – wie oft haben wir diese Frage schon versucht zu beantworten.
 
Eigentlich schade, dass das Misstrauen so tief in uns steckt.
Seltsam: Die beiden Karten sind überhaupt nicht mein „cup of tea“, weder inhaltlich noch ästhetisch, und trotzdem haben sie mich auf wundersame Weise gefunden, und seit dieser S-Bahn-Fahrt trage ich sie mit mir (im Portemonnaie, nicht in der Hosentasche). Manchmal nehm ich sie in die Finger, schüttle unwillkürlich den Kopf und lächle in mich hinein.
 
Verdammt, die Dinger wirken.
 
Jetzt muss ich nur mal den Gutschein einlösen.

Clemens M Prokop

geboren in Regensburg.

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