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Impulse aus dem
Baum­haus

Bildquelle: Bild von 165106 auf Pixabay

Auf Augenhöhe

04. April 2024
Clemens M Prokop

Es ist ein fortgesetztes Dilemma: Es gibt Begriffe, gegen die man gar nichts sagen kann, weil sie in edler Absicht gebraucht werden – und trotzdem unangenehm leere Containerfloskeln bleiben.

„Ich danke Euch für Eure wertschätzenden Worte“, kam neulich per Mail, dabei waren wir gar nicht wertschätzend gewesen (ehrlich gesagt: wir wissen gar nicht so genau, wie das geht), sondern einfach nur wie immer, nämlich ehrlich, freundlich, aufmerksam, vielleicht sogar etwas liebevoll…

Wie man das halt ist zu Menschen, die man mag. Und wie wir’s grundsätzlich immer halten wollen: Es kostet keinen Cent, ein netter Mensch zu sein.

Mit der Augenhöhe ist das auch so eine Sache.

Eben erst in einem Mission Statement gelesen:

„Wir begegnen unseren Kunden auf Augenhöhe.“

Meine erste Reaktion: "Ist ja super!" Das muss man sich überhaupt mal so hinzuschreiben trauen. Und damit beginnen die Rätsel erst: Ist das nun eine Drohung gegenüber allen potentiellen Auftraggebern? Oder doch ein Versprechen – aber wenn, welches nur?

Das ist der richtige Zeitpunkt, um eine Geschichte aus dem Familienleben zu erzählen. Die regionale Musikschule lud ein zu einem Tag der offenen Tür, und weil das Mädchen vielleicht mit Geige oder auch Klavier anfangen wollte, fuhren wir hin. Ist ja auch eine gute Gelegenheit, das Lehrpersonal mal aus der Nähe zu erleben.

Im Klavier-Raum hatte man leider keine Zeit für Kundschaft. Die Damen waren keineswegs unfreundlich, aber sie waren recht hektisch damit beschäftigt, so typische Musikschulklaviere über die Gänge zu rollen, damit irgendeine Vorführung stattfinden konnte.

Dann halt nicht.

Mit der Geigenlehrerin war’s anders. Sie sprach mich gleich an, und es entwickelte sich ein freundliches Fachgespräch „auf Augenhöhe“. Blöd nur, dass das Mädchen dabeistand, kein Wort verstand und auch sonst keine Rolle spielte.

Sorry, ich bin nur derjenige, der die Rechnung zahlen wird. Die potentielle Kundin steht neben mir wie bestellt und nicht abgeholt.

Und weil wir schonmal da waren, guckten wir auch noch bei den Celli vorbei. Die junge Lehrerin lächelte uns freundlich an, ging in die Hocke und begrüßte das Kind. Und von da an spielten alle Erwachsenen keine Rolle mehr.

Das war kein Gespräch „auf Augenhöhe“, das war eine Begegnung, und am Ende war klar, dass es Cello sein würde. Das ist es heute noch, fünf Jahre später: Anna, die Lehrerin, motiviert und löst damit immer wieder neu das Versprechen ein, das sie damals gegeben hat.

Und ich weiß seitdem, was das wirklich heißt, jemandem „auf Augenhöhe“ zu begegnen: Ich muss mich bewegen und die Perspektive meines Gegenüber einzunehmen. Dann können wir auch miteinander spielen.

Clemens M Prokop

geboren in Regensburg.

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